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Die Zeit ist da, zu erkennen: Als Unternehmen hat man eine gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen, die über das eigene Business hinaus gehen muss. Eine Verantwortung, die Welt besser zu machen. – Das ist kein (naiver) Idealismus, das ist die Zukunft!

Dass in der Wirtschaft inzwischen nicht mehr nur der Gewinn zählt, sondern auch die Verantwortung, das zeigt sich fast täglich mit der Bekanntgabe neuer Nachhaltigkeitsinitiativen. Es geht dabei um unterschiedlichste Themen wie Klima- und Umweltschutz, Bienenschutz, Emissions- und Energieeinsparung, Fair Trade, Kinderschutz und vieles mehr. – Die Erkenntnis, dass diese Themen für uns als Gesellschaft überlebenswichtig sind, kommt zwar in einigen Unternehmen etwas spät. Aber der Stein rollt nun zumindest mal branchenübergreifend. So weit klingt das gut. Und dennoch erinnert mich die Neu- bzw. Wiederentdeckung der Nachhaltigkeit an einen Autofahrer, der dafür ausgezeichnet werden will, dass er die Verkehrsregeln einhält.

Ist es denn nicht die ureigenste Pflicht eines jeden Unternehmens, mit der Produktion weder Böden zu verseuchen, noch die Luft zu verschmutzen? Sollte es nicht selbstverständlich sein, Mitarbeiter, Zulieferer und andere Geschäftspartner fair sowie Frau und Mann gleich zu bezahlen? Kann man es (heutzutage immer noch) allen Ernstes als Errungenschaft proklamieren, keine Kinder für sich arbeiten zu lassen? …

Eben: Niemand von uns bekommt den „Goldenen Kraftfahrer-Verdienstorden am Band“, weil er mit seinem Wagen nicht über Rot und nicht über Bürgersteige fährt. Warum sollte man dann jetzt huldigen, wenn Unternehmen endlich selbstverständliche Grundregeln einhalten?

Nachhaltigkeit ist Pflicht. Aber wo bleibt die Kür?

Nachhaltig zu handeln, ist für jedes Unternehmen ureigenste Pflicht. Wo aber bitte bleibt der Anstand?

  • Wann hören Unternehmen endlich auf mit der Steuertrickserei (s. share deals, Patent- und Lizenzboxen, Treaty Shopping u.ä. wiwo-Artikel)? Schon klar, man „schöpft ja nur den gesetzlichen Rahmen aus“. Und zeigt damit: Es reicht ganz offensichtlich nicht, wenn sich alle nur an Recht und Gesetz halten. – So gehen allein dem deutschen Fiskus/der Gesellschaft jedes Jahr zweistellige Milliardensummen verloren. (Quelle: Report der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), 2015)
  • Was ist z.B. mit dem Verzicht auf Dividenden, üppige Gehälter und Managerboni, wenn gleichzeitig die Gemeinschaft der Steuerzahler einspringt, um das Unternehmen zu retten? Gewinne privatisieren, aber Verluste sozialisieren: Damit muss Schluss sein!
  • Darf man von Unternehmen nicht erwarten, dass sie von ihren Angestellten keine Überstunden einfordern, wenn Kurzarbeit angemeldet wurde?
  • Sollte es nicht selbstverständlich sein, keine Schmiergelder zu zahlen, um Ziele durchzusetzen?
  • … …

Darf man als Kunde, Mitarbeiter, Aktionär, ja: Dürfen wir als Gesellschaft nicht mehr von jedem Unternehmen verlangen, als nur ein gutes Produkt, einen sicheren Arbeitsplatz, eine gute Dividende und nachhaltiges Handeln? Eben schlicht und ergreifend: mehr Anstand und mehr altruistisches Engagement für unser aller Zukunft.

Beispiel: EDEKA

„Wir machen uns stark für den Schutz der Wälder“ heißt es u. a. auf der Website. Man erfährt von der „bärenstarken Partnerschaft mit dem WWF“ und kann sich über zahlreiche Engagements in punkto Nachhaltigkeit informieren. Liest sich blendend. Aber die Realität sieht mal wieder anders aus. Denn (zumindest bis September 2020) bezieht EDEKA Produkte aus Brasilien und unterstützt damit die Zerstörung des Regenwaldes: zu Gunsten brasilianischer Agrarkonzerne, die so z. B. an Weideland für Export-Rinder und an riesige Ackerflächen kommen. Über 15.000 Feuer zerstörten riesige Teile des Amazonas-Regenwalds allein in der ersten Augusthälfte (Quelle: „Amazonas-Gebiet in Brasilien brennt einen Monat nach Verbot weiter“, RND Online, 17. August 2020). – „Wir machen uns stark für den Schutz der Wälder“: wirklich? …

Und war es nicht auch EDEKA, die zwei Studentinnen verklagten, nachdem sie beim sog. „Containern“ erwischt wurden?

  • Natürlich: Das Recht ist in diesem Fall auf Seite des Discounters. Denn die Lebensmittel sind, auch wenn sie sich im Container zur Entsorgung befinden, nach wie vor im Besitz des Unternehmens. Und ja: Der Supermarkt ist zudem für die gesundheitliche Unbedenklichkeit der in Verkehr gebrachten Lebensmittel verantwortlich.
  • Aber: In Zeiten, da fast ein Drittel der produzierten Lebensmittel im Müll landen und so unnötig Ressourcen verschwendet werden sowie vermeidbare Treibhausgase entstehen, muss es im Dialog mit umweltbewussten Kunden andere Wege geben, als die Klage. Zumal, wenn man sich nachhaltiges Handeln selber so lautstark auf die Fahne schreibt.

Beispiel: HeidelbergCement

Auch der Dax-Konzern ist stolz auf sein Nachhaltigkeits-Engagement und ist ihm auf der Corporate-Site einen Navigationspunkt wert. „Unser langfristiger Unternehmenserfolg setzt nachhaltig orientiertes Handeln und einen verantwortlichen Umgang mit Nachbarn, Geschäftspartnern und Mitarbeitern an unseren Standorten voraus.“, heißt es u. a. „Das bedeutet, dass wir negative Auswirkungen unserer Geschäftstätigkeit auf Umwelt und Gesellschaft minimieren …“ Was davon in der Realität zu halten ist, bekommen gerade indonesische Bauern zu spüren. Die Tochtergesellschaft des Baustoffriesen, namens Indocement, plant nämlich in der Region eine Kalksteinmine und ein Zementwerk: wodurch mindestens 35.000 Menschen der Region den Zugang zu lebenswichtigen Wasserressourcen verlieren werden. Mal ganz abgesehen von weiteren Begleitschäden. – Auch hier halte sich das Unternehmen vor Ort an geltendes Recht und verweist auf ein Umweltverträglichkeitsprüfung, welche angeblich über fünf Jahre lief.

Aber genau das ist der Punkt. Ich denke, es ist Zeit zu begreifen: Nicht alles, was (gesetzlich) erlaubt ist, ist auch anständig!

Und zu erkennen: Als Unternehmen hat man eine gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen, die über das eigene Business hinaus geht. Eine Verantwortung, die Welt besser zu machen. – Das ist kein (naiver) Idealismus, das ist die Zukunft!

„Im Mittelpunkt für Unternehmen und Politik muss der Mensch stehen, nicht das Streben nach Macht oder Gewinn“, schrieb Papst Franziskus in seiner Botschaft an die Teilnehmer des letzten Davoser Weltwirtschaftsforums. – Nun, ob ein „Kapitalismus mit Seele“ automatisch im Widerspruch zu einer gewinnorientierten Unternehmensführung steht, können wir gern an anderer Stelle diskutieren. Es liegt aber auf der Hand, dass insbesondere in Zeiten, da sich Gesellschaft und Politik scheinbar entkoppeln, es andere richtungsweisende Institutionen braucht: Unternehmen, Marken, die uns zeigen und vormachen, wohin wir uns als Gesellschaft bewegen müssen. Unternehmen/Marken, die unsere Gesellschaft aktiv mitgestalten. Altruistisch, ohne Hintergedanken und ohne jede gute Tat marketingtechnisch auszuschlachten.

Was sich ändern muss?!

Dass unserer Gesellschaft bis in die Unternehmensspitzen mehr Anstand guttun würde, ist, denke ich, unbestritten. Mit wenigen Sätzen zu erklären, wie man da hin kommt, auch das dürfte klar sein, ist unmöglich – ist auch nicht die Idee dieses Beitrags, der mehr zur Diskussion und zur kritischen Auseinandersetzung anregen will.

Kurz gesagt: Anstand für jedermann „sexy“ zu machen, ist sicher eine pädagogische, aber auch eine normative Aufgabe. Die vielleicht damit beginnt:

  • Anstand nicht als etwas Altmodisches, Unnützes, Esoterisches oder etwas für Dumme/Verlierer abzutun. Sondern als etwas Erstrebenswertes, Wichtiges für unsere Gesellschaft anzusehen, was unser aller Anerkennung verdient.
    Das erreicht man ja durchaus mit kleinen Dingen: Warum nicht vor der Tagesschau, statt der Börsenkurse, Beispiele und Fakten präsentieren, die zeigen, wie sich Menschen/Unternehmen für das Gemeinwohl einsetzen?! Was, wenn Unternehmen nicht nur die besten Verkäufer auszeichnen, sondern genauso privates, altruistisches Engagement ihrer Mitarbeiter honorieren?!
  • Aber wie wollen wir mehr Wertschätzung für Anstand und gesellschaftliches Engagement erzielen, wenn wir dies dem Menschen nicht von kleinauf vermitteln?
    Ich finde z. B. ein Unterrichtsfach „Humanistische Lebenskunde“, wie es das in Berlin-Brandenburg gibt, einen guten Ansatz, um ethisches, werteorientiertes Denken und Handeln von der ersten Klasse an zu unterstützen. Aber warum als freiwilliges Fach und nicht als Hauptfach bis zum Abitur?! Und: Klar, dass die Schule nicht allein für die Erziehung unserer Kinder verantwortlich ist …
  • Wir alle sind verantwortlich, „die Ökonomie“ neu auszurichten: nicht alle gemeinsam, nicht von heute auf morgen, aber jeder, indem er seinen Teil dazu beiträgt. AB SOFORT! In eine Richtung, welche das Wachstum des Gemeinwohls und nicht das des Geldes in den Mittelpunkt rückt.
    An dieser Stelle würde ich jetzt mal speziell die Unternehmenslenker in die Pflicht nehmen. Sie haben es in der Hand, welchen Stellenwert Corporate Social Responsibility (CSR) in Ihrem Unternehmen besitzt. Welche Vorgaben es gibt, wie deren Einhaltung geprüft, aber auch prämiert werden. „Der Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung ändern kann“. Auf geht’s!

Was noch? Sagt Ihr …

 

 

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